Dem Gerechten muss das Licht
BWV 195 // Trauung
für Sopran, Alt, Tenor und Bass, Vokalensemble, Trompete I–III, Pauken, Traversflöte I+II, Oboe I+II, Streicher und Basso continuo
Die um 1748/49 in eine letztgültige Gestalt gebrachte Hochzeitskantate BWV 195 gehört zu Bachs faszinierendsten und auch rätselhaftesten Schöpfungen. Reich besetzt mit Blech- und Holzbläsern sowie mit in Concertisten und verstärkendes Ripieno (Tutti) geteilten Chorstimmen, setzt die wahrscheinlich über zwei Jahrzehnte hinweg immer wieder überarbeitete Kantate aussergewöhnliche Energien frei. Zugleich gewährt sie in ihrer geschickten Klangregie und Stimmenkopplung luftige Blicke in einen musikalischen Himmel, der nicht nur für Liebende voller Geigen hängt.

Chor
Sopran
Lia Andres, Noëmi Tran-Rediger, Alexa Vogel, Mirjam Wernli, Ulla Westvik
Alt
Anne Bierwirth, Antonia Frey, Tobias Knaus, Laura Kull
Tenor
Klemens Mölkner, Florian Glaus, Sören Richter
Bass
Israel Martins, Philippe Rayot, Julian Redlin, Tobias Wicky
Orchester
Leitung
Rudolf Lutz
Violine
Renate Steinmann, Monika Baer, Patricia Do, Elisabeth Kohler Gomes, Olivia Schenkel, Salome Zimmermann
Viola
Susanna Hefti, Claire Foltzer, Matthias Jäggi
Violoncello
Martin Zeller, Bettina Messerschmidt
Violone
Guisella Massa
Traversflöte
Tomoko Mukoyama, Sara Vicente
Oboe
Katharina Arfken, Clara Espinosa Encinas
Fagott
Susann Landert
Trompete
Rudolf Lörinc, Peter Hasel, Klaus Pfeiffer
Pauken
Inez Ellmann
Cembalo
Thomas Leininger
Orgel
Nicola Cumer
Musikal. Leitung & Dirigent
Rudolf Lutz
Werkeinführung
Mitwirkende
Rudolf Lutz, Pfr. Niklaus Peter
Reflexion
Reflexion
Nicole Althaus
Aufnahme & Bearbeitung
Aufnahmedatum
23.05.2025
Aufnahmeort
Trogen (AR) // Evang. Kirche
Tonmeister
Stefan Ritzenthaler
Regie
Meinrad Keel
Produktionsleitung
Johannes Widmer
Produktion
GALLUS MEDIA AG, Schweiz
Produzentin
J.S. Bach-Stiftung, St. Gallen, Schweiz
Textdichter
Entstehungszeit
Erstversion um 1728/31; letzte Fassung um 1748/49;
Leipzig und/oder Umland (?)
Textgrundlage
Unbekannter Dichter, Satz 1: Psalm 97,11-12
Text des Werks und musikalisch-theologische Anmerkungen
1. Chor
«Dem Gerechten muß das Licht immer wieder aufgehen
und Freude den frommen Herzen. Ihr Gerechten, freuet
euch des Herrn und danket ihm und preiset seine
Heiligkeit.»
1. Chor
Der unbekannte Librettist setzt im Anfangschor mit dem Zitat aus Psalm 97,11-12 einen schönen Akzent für eine Hochzeitskantate: «Dem Gerechten muß das Licht immer wieder aufgehen». Denn mit dem Wort «der Gerechte» (hebr. «Zaddik») wird ein Kernbegriff der religiösen Ethik zum thematischen Orgelpunkt der ganzen Kantate. Gerechtigkeit heisst ein geklärtes, liebevolles Verhältnis zu Gott und zum Mitmenschen – eine günstige Voraussetzung für eine Ehe. Aus dem mehrchörigen und vom steten Wechsel zwischen Vorsänger-Passagen und Tutti-Rufen geprägten Konzertieren des Beginns schält sich später eine motettisch beschwingte Fuge («Ihr Gerechten freuet euch des Herrn») heraus, ehe der Satz mit effektvollen Klangaufschichtungen zum Abschluss kommt.
2. Rezitativ – Bass
Dem Freudenlicht gerechter Frommen
muß stets ein neuer Zuwachs kommen,
der Wohl und Glück bei ihnen mehrt.
Auch diesem neuen Paar,
an dem man so Gerechtigkeit
als Tugend ehrt,
ist heut ein Freudenlicht bereit,
das stellet neues Wohlsein dar.
O! ein erwünscht Verbinden!
so können zwei ihr Glück eins an dem andern finden.
2. Rezitativ – Bass
Das Rezitativ legt das Psalmenzitat des Eingangschors aus: «auch diesem neuen Paar» steht mit der Tugend der Gerechtigkeit an diesem Tag ein «Freudenlicht» bereit, «so können zwei ihr Glück eins an dem andern finden». Durchaus denkbar, dass die den priesterlich vortragenden Bassisten begleitende Continuostimme mit ihren wiegenden Triolen auf den bevorstehenden Kindersegen («neuer Zuwachs») verweist.
3. Arie — Bass
Rühmet Gottes Güt und Treu,
rühmet ihn mit reger Freude,
preiset Gott, Verlobten beide!
Denn eu’r heutiges Verbinden
läßt euch lauter Segen finden,
Licht und Freude werden neu.
3. Arie — Bass
In der Bass-Arie werden die beiden Verlobten ermuntert, einen Lob- und Freudengesang anzustimmen, «denn eu’r heutiges Verbinden läßt euch lauter Segen finden». Auch musikalisch gehen die aparte Klanglichkeit der mit den Streichern mitlaufenden Holzbläser und der kraftvolle Tanzduktus des Satzes eine reizvolle Verbindung ein, die gerade rhythmisch auch galante Züge ausbildet.
4. Rezitativ – Sopran
Wohlan, so knüpfet denn ein Band,
das so viel Wohlsein prophezeihet.
Des Priesters Hand
wird jetzt den Segen
auf euren Ehestand,
auf eure Scheitel legen.
Und wenn des Segens Kraft hinfort an euch gedeihet,
so rühmt des Höchsten Vaterhand.
Er knüpfte selbst eu’r Liebesband
und ließ das, was er angefangen,
auch ein erwünschtes End erlangen.
4. Rezitativ – Sopran
Das Sopran-Rezitativ konkretisiert die Metaphorik der ehelichen Verbindung: «Des Priesters Hand wird jetzt den Segen auf euren Ehestand, auf eure Scheitel legen» – und mit diesem Segen das vollenden, was Gottes «Vaterhand» angefangen und jetzt im «Liebesband» zum Abschluss bringen werde. Über einem Klangteppich zweier Oboen ergehen sich die Flöten in auf und ab fließenden Figuren, die kaum anders denn als Abbild dieser belebenden «Segensströme» gedeutet werden können.
5. Chor
Wir kommen, deine Heiligkeit,
unendlich großer Gott, zu preisen.
Der Anfang rührt von deinen Händen,
durch Allmacht kannst du es vollenden
und deinen Segen kräftig weisen.
5. Chor
Im Chor bestätigen und preisen alle Gottes Heiligkeit, sein Anfangen und Vollenden, hier könne Gott seinen Segen «kräftig weisen». Während der volltönende Rahmen dieser dreiteiligen Chorarie auf allen Ebenen das himmelwärts gerichtete «vor Gott-Treten» beschreibt, bittet der zurückgenommene Mittelabschnitt um dessen fortgesetzten Segen.
Post Copulationem
[Arie]
Bist du bei mir, geh ich mit Freuden
zum Sterben und zu meiner Ruh.
Ach, wie vergnügt wär so mein Ende,
es drückten deine schönen Hände
mir die getreuen Augen zu!
Arie «Bist du bei mir»
In der historischen Aufführungssituation fand nach dem ersten Kantatenteil die eigentliche Trauhandlung statt, ohne die der nur aus einem Choral bestehende zweite Teil sinnwidrig kurz wäre. Wir haben zur Verdeutlichung dieses auf das gegenseitige Treueversprechen gegründeten liturgischen Einschubs an dieser Stelle die Arie «Bist Du bei mir» eingefügt, die nach 1725 im zweiten «Notenbüchlein» der Eheleute Bach von seiner Frau Anna Magdalena eingetragen wurde. Sie stammt eigentlich aus Gottfried Heinrich Stölzels verschollener Bayreuther Oper «Diomede» von 1718 und erklingt in einer Bearbeitung, die Rudolf Lutz für das Ensemble «Singer Pur» geschrieben hat.
6. Choral
Nun danket all und bringet Ehr,
ihr Menschen in der Welt,
dem, dessen Lob der Engel Heer
im Himmel stets vermeldt.
6. Choral
Der Choral «post Copulationem», also nach der feierlichen Schließung des Ehebundes, bekräftigt mit der ersten Strophe von Paul Gerhardts «Nun danket all und bringet Ehr» die vor Gott vollzogene Trauung. Mit dem Wechsel von Trompeten zu Hörnern sowie dank der in der Höhe durch Unisono-Flöten verdoppelten Liedmelodie bekommt der Satz zugleich eine quasi-sakramentale Verbindlichkeit wie auch eine befreite Helle.