Man singet mit Freuden vom Sieg

BWV 149 // Michaelisfest

für Sopran, Alt, Tenor und Bass, Vokalensemble, Trompete I–III, Pauken, Oboe I–III, Fagott, Streicher und Basso continuo

Engel sind mittlerweile wieder en vogue – mit dem himmlischen Feldmarschall Michael tun wir uns heute allerdings schwer. Die Kantate BWV 149 zeigt jedoch, welchen Rang das Michaelisfest in Bachs Zeit hatte und welche Inspiration die Menschen des alten Europas aus dem Bild dieses machtvollen Satansüberwinders zogen. Bläserfanfaren und entspannt strömende Vokalpassagen prägen den vierchörigen Eingangschor, während die Arien vom auftrumpfenden Siegesjubel über das hoffende Vertrauen zur demütigen Bitte um den engelhaften Schutz fortschreiten. Mit dem Duett «Seid wachsam, ihr heiligen Engel» ist Bach ein Meisterwerk gelungen, dessen herzpochender Munterkeit man sich ebenso wenig entziehen kann wie dem gesammelten Reiz dieser Kantate. Und dass einer von Bachs berühmtesten Choralsätzen auch anders klingen kann, ist ihre überraschende Schlusspointe.

Video

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Lutzogramm zur Werkeinführung

Manuskript von Rudolf Lutz zur Werkeinführung
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Akteure

Solisten

Sopran
Miriam Feuersinger

Alt/Altus
Elvira Bill

Tenor
Georg Poplutz

Bass
Stephan MacLeod

Chor

Sopran
Lia Andres, Cornelia Fahrion, Gabriela Glaus, Susanne Seitter, Noëmi Sohn Nad, Mirjam Wernli

Alt
Antonia Frey, Katharina Guglhör, Francisca Näf, Lea Scherer, Sarah Widmer

Tenor
Clemens Flämig, Joël Morand, Christian Rathgeber, Nicolas Savoy

Bass
Jean-Christophe Groffe, Fabrice Hayoz, Serafin Heusser, Israel Martins, Peter Strömberg

Orchester

Leitung
Rudolf Lutz

Violine
Monika Baer, Elisabeth Kohler, Salome Zimmermann, Patricia Do, Aliza Vicente, Andrea Brunner

Viola
Susanna Hefti, Claire Foltzer, Matthias Jäggi

Violoncello
Martin Zeller, Bettina Messerschmidt

Violone
Markus Bernhard

Oboe
Philipp Wagner, Clara Espinosa Encina, Laura Valentina Herzog

Fagott
Susann Landert

Trompete
Patrick Henrichs, Peter Hasler, Klaus Pfeiffer

Pauken
Martin Homann

Cembalo
Thomas Leininger

Orgel
Nicola Cumer

Musikal. Leitung & Dirigent

Rudolf Lutz

Werkeinführung

Mitwirkende
Rudolf Lutz, Pfr. Niklaus Peter

Reflexion

Referentin
Caspar Hirschi

Aufnahme & Bearbeitung

Aufnahmedatum
13.09.2024

Aufnahmeort
Trogen (AR) // Evang. Kirche

Tonmeister
Stefan Ritzenthaler

Regie
Meinrad Keel

Produktionsleitung
Johannes Widmer

Produktion
GALLUS MEDIA AG, Schweiz

Produzentin
J.S. Bach-Stiftung, St. Gallen, Schweiz

Zum Werk

Textdichter

Erste Aufführung
29. September 1728 oder 1729, Leipzig

Textgrundlage
Christian Friedrich Henrici 1725 Satz 1: Psalm 118, 15–16 Satz 7: «Herzlich lieb hab ich dich, o Herr» (Matthias Schalling, Entstehungszeit 1569; Erstdruck 1571), Strophe 3

Text des Werks und musikalisch-theologische Anmerkungen

Geflügelte Engel sind als lächelnde Trostbilder und ersehnte Lebensbegleiter mittlerweile wieder en vogue – mit dem Drachentöter und himmlischen «Feldmarschall » Michael tun wir uns heute allerdings schwer. Die Kantate BWV 149 zeigt jedoch, welchen Rang das Michaelisfest zu Bachs Zeit hatte und welche Inspiration die Menschen des alten Europa aus dem Bild des machtvollen Satansüberwinders zogen. Es ist nicht sicher belegt, ob diese Kirchenkantate am 29. September 1728 oder erst an Michaelis des darauffolgendes Jahres 1729 in Leipzig erstaufgeführt wurde. Der Text jedenfalls stammt von Bachs bekanntem Leipziger Librettisten Christian Friedrich Henrici, genannt Picander. Die Musik ist festlich: Bläserfanfaren und entspannt strömende Vokalpassagen prägen den aus Bachs Jagdkantate von 1713 entwickelten Eingangschor, während die Arien vom auftrumpfenden Siegesjubel über das hoffende Vertrauen zur demütigen Bitte um den engelhaften Schutz fortschreiten. Mit dem Duett «Seid wachsam, ihr heiligen Engel» ist Bach ein Meisterwerk gelungen, dessen herzpochender Munterkeit man sich ebenso wenig entziehen kann wie dem gesammelten Reiz dieser Kantate. Nicht zuletzt zeigt sich dabei, dass Bach auch so gelungene Choralvertonungen wie das aus der Johannespassion bekannte «Ach Herr, lass dein lieb Engelein» nochmal ganz anders anzugehen verstand.

1. Chor

«Man singet mit Freuden vom Sieg in den Hütten der
Gerechten:
Die Rechte des Herrn behält den Sieg, die Rechte des
Herrn ist erhöhet, die Rechte des Herrn behält den Sieg.»

1. Chor

Im Eingangschor erklingen die Verse 15 und 16 des Psalms 118, eines Tempelwechselgesanges aus dem 5. Buch des biblischen Psalters «Man singet mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten» – damit ist der kämpferische Ton des Michaelisfestes angestimmt. Für diese endzeitlich aufgeladene Triumphsituation hat Bach die klanglich dominierenden Hörner des Schlusssatzes seiner Weissenfelser Jagdkantate durch drei Trompeten und Pauken ersetzt. Damit vermochte er die bereits latent vierchörige Struktur ebenso zu stärken, wie er den Chorpart fugenmässig aufgewertet und die Satzstruktur grosszügig erweitert hat.

2. Arie — Bass

Kraft und Stärke sei gesungen
Gott, dem Lamme, das bezwungen
und den Satanas verjagt,
der uns Tag und Nacht verklagt.
Ehr und Sieg ist auf die Frommen
durch des Lammes Blut gekommen.

2. Arie — Bass

Die Bassarie greift den Siegesjubel des Chors auf und bezieht ihn auf Christus, der als Gottessohn und Opferlamm den stets lauernden Satan bezwungen und der frommen Gemeinde den Sieg gebracht hat. Das bewegliche Zusammenspiel dreier tiefer Partien verleiht dem Satz zugleich Gravität und Eleganz.

3. Rezitativ — Alt

Ich fürchte mich
vor tausend Feinden nicht,
denn Gottes Engel lagern sich
um meine Seiten her;
wenn alles fällt, wenn alles bricht,
so bin ich doch in Ruhe.
Wie wär es möglich zu verzagen?
Gott schickt mir ferner Roß und Wagen
und ganze Herden Engel zu.

3. Rezitativ — Alt

Es ist die Gewissheit, von Gottes kämpferischen Engeln auch in herben Zeiten beschützt zu sein, welche im Altrezitativ sich zur rhetorischen Frage aufschwingt: «Wie wär es möglich zu verzagen? / Gott schickt mir ferner Roß und Wagen / Und ganze Herden Engel zu.»

4. Arie — Sopran

Gottes Engel weichen nie,
sie sind bei mir allerenden.
Wenn ich schlafe, wachen sie,
wenn ich gehe,
wenn ich stehe,
tragen sie mich auf den Händen.

4. Arie — Sopran

Die Sopranarie klingt wie ein Abendgebet für Kinder, und man kann fast nicht anders, als an Dietrich Bonhoeffers bewegendes Engel- Gedicht «Von guten Mächten» zu denken, wenn man die Schlussverse hört: «Wenn ich gehe, / Wenn ich stehe, / Tragen sie mich auf den Händen». Wie so oft kleidet Bach Kontexte des inspirierenden Vertrauens in eine im 3⁄8-Takt sanft schwingende tänzerische Satzanlage. Dagegen kostet der Mittelteil den Gegensatz von «Schlafen» und «Wachen» tondeutend aus.

5. Rezitativ — Tenor

Ich danke dir,
mein lieber Gott, dafür;
dabei verleihe mir,
daß ich mein sündlich Tun bereue,
daß sich mein Engel drüber freue,
damit er mich an meinem Sterbetage
in deinen Schoß zum Himmel trage.

5. Rezitativ — Tenor

Das Tenorrezitativ ist ein Dankgebet verbunden mit der Bitte, als reuiger Sünder am Sterbetag vom Schutzengel «in deinen Schoß zum Himmel» getragen zu werden.

6. Arie — Alt und Tenor

Seid wachsam, ihr heiligen Wächter,
die Nacht ist schier dahin.
Ich sehne mich und ruhe nicht,
bis ich vor dem Angesicht
meines lieben Vaters bin.

6. Arie — Alt und Tenor

In der Arie, einem Duett der Alt- und Tenorstimme, werden die Schutzengel um Wachsamkeit gebeten in den letzten Stunden der vergehenden Weltnacht, dies in der ruhigen eschatologischen Gewissheit, «bis ich vor dem Angesicht / meines lieben Vaters bin». Die Anlage als Duett sorgt wirkungsvoll für die Anmutung eines bestärkenden Gesprächs, während die obligate Fagottpartie dem Satz eine ganz besondere «Munterkeit» verleiht.

7. Choral

Ach Herr, laß dein lieb Engelein
am letzten End die Seele mein
in Abrahams Schoß tragen,
den Leib in seim Schlafkämmerlein
gar sanft ohn einge Qual und Pein
ruhn bis am jüngsten Tage!
Alsdenn vom Tod erwecke mich,
daß meine Augen sehen dich
in aller Freud, o Gottes Sohn,
mein Heiland und Genadenthron!
Herr Jesu Christ, erhöre mich, erhöre mich,
ich will dich preisen ewiglich!

7. Choral

Die Festkantate schliesst mit der 3. Strophe des Chorals von Matthias Schalling, «Herzlich lieb hab ich dich, o Herr» aus dem Jahr 1569, in dem Heilands- und Engelsglaube, Siegesgewissheit und Zuversicht in einen Lobpreis Gottes münden. In dieser Ewigkeit scheinen schlussendlich sogar noch die trompetenblasenden Stadtmusikanten ihren Platz zu finden …

Quellenangaben

Alle Kantatentexte stammen aus «Neue Bach-Ausgabe. Johann Sebastian Bach. Neue Ausgabe sämtlicher Werke», herausgegeben vom Johann-Sebastian-Bach-Institut Göttingen und vom Bach-Archiv Leipzig, Serie I (Kantaten), Bd. 1–41, Kassel und Leipzig, 1954–2000.
Alle einführenden Texte zu den Werken, die Texte «Vertiefte Auseinandersetzung mit dem Werk» sowie die «musikalisch-theologische Anmerkungen» wurden von Anselm Hartinger und Pfr. Niklaus Peter sowie Pfr. Karl Graf verfasst unter Bezug auf die Referenzwerke: Hans-Joachim Schulze, «Die Bach-Kantaten. Einführungen zu sämtlichen Kantaten Johann Sebastian Bachs», Leipzig, 2. Aufl. 2007; Alfred Dürr, «Johann Sebastian Bach. Die Kantaten», Kassel, 9. Aufl. 2009, und Martin Petzoldt, «Bach-Kommentar. Die geistlichen Kantaten», Stuttgart, Bd. 1, 2. Aufl. 2005 und Bd. 2, 1. Aufl. 2007.

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