Gottlob! nun geht das Jahr zu Ende
BWV 028 // Sonntag nach Weihnachten
für Sopran, Alt, Tenor und Bass, Vokalensemble, Zink, Posaune I–III, Oboe I+II, Taille, Streicher und Basso continuo
«Gottlob! nun geht das Jahr zu Ende» – wer möchte dies nicht zuweilen nach einer Zeit innerer und äusserer Bedrängnis ausrufen… Doch heisst es in Johann Gramanns die Kantate BWV 28 eröffnendem Lied nicht ohne Grund zugleich: «Das neue rücket schon heran» – und an die Stelle verzagter Klage treten Dankbarkeit für das Erlebte und Zuversicht, mit dem in Erdmann Neumeisters Libretto auffällig oft evozierten «Gott» alles Künftige zu meistern. Diese weite Spanne der Emotionen und Haltungen hat Bach formal eingefangen, indem er der persönlichen Reflexion der eröffnenden Sopranarie ein kollektives Gotteslob in Gestalt der vierstimmigen Liedmotette «Nun lob, mein Seel, den Herren» folgen lässt. Im weiteren Verlauf überzeugt der sensible Duktus, mit dem Bach in zwei ariosen Rezitativsätzen den Bedeutungen des Gottesnamens nachgeht, bevor Alt und Tenor ihrer gewonnenen Sicherheit mit kindlicher Unbekümmertheit Ausdruck verleihen. Dass die Kantate auf einen gemeindebezogenen Liedschluss zuläuft, gehört zum Formtyp und tut doch unendlich wohl.
Chor
Sopran
Lia Andres, Jessica Jans, Lena Kiepenheuer, Noëmi Sohn Nad, Noëmi Tran-Rediger
Alt
Laura Binggeli, Stefan Kahle, Francisca Näf, Alexandra Rawohl, Lea Scherer
Tenor
Zacharie Fogal, Manuel Gerber, Tobias Mäthger, Walter Siegel
Bass
Jean-Christophe Groffe, Israel Martins, Valentin Parli, Daniel Pérez, Philippe Rayot
Orchester
Leitung
Rudolf Lutz
Violine
Renate Steinmann, Monika Baer, Patricia Do, Elisabeth Kohler, Petra Melicharek, Salome Zimmermann
Viola
Susanna Hefti, Matthias Jäggi, Stella Mahrenholz
Violoncello
Martin Zeller, Bettina Messerschmidt
Violone
Markus Bernhard
Zink
Frithjof Smith
Posaune
Simen van Mechelen, Henning Wiegräbe, Joost Swinkels
Oboe
Andreas Helm, Philipp Wagner
Taille
Ingo Müller
Fagott
Susann Landert
Cembalo
Thomas Leininger
Orgel
Nicola Cumer
Musikal. Leitung & Dirigent
Rudolf Lutz
Werkeinführung
Mitwirkende
Rudolf Lutz, Pfr. Niklaus Peter
Reflexion
Referent
Markus Gabriel
Aufnahme & Bearbeitung
Aufnahmedatum
16.12.2022
Aufnahmeort
St. Gallen (Schweiz) // Kirche St. Mangen
Tonmeister
Stefan Ritzenthaler
Regie
Meinrad Keel
Produktionsleitung
Johannes Widmer
Produktion
GALLUS MEDIA AG, Schweiz
Produzentin
J.S. Bach-Stiftung, St. Gallen, Schweiz
Textdichter
Erste Aufführung
30. Dezember 1725, Leipzig
Textdichter
Erdmann Neumeister (Sätze 1, 4, 5); Johann Gramann (Satz 2); Jeremia 32, 41 (Satz 3); Paul Eber (Satz 6)
Text des Werks und musikalisch-theologische Anmerkungen
1. Arie — Sopran
Gottlob! Nun geht das Jahr zu Ende,
das neue rücket schon heran.
Gedenke, meine Seele, dran,
wieviel dir deines Gottes Hände
im alten Jahre Guts getan!
Stimm ihm ein frohes Danklied an!
So wird er ferner dein gedenken
und mehr zum neuen Jahre schenken.
1. Arie
«Gottlob! Nun geht das Jahr zu Ende» – so hat vielleicht auch Bach geseufzt nach dem arbeitsreichen Jahr 1725: «Gottlob» kommt ein 1. Sonntag nach Weihnachten in festtäglich ohnehin dichter Zeit (seinerzeit noch mit drei Weihnachtstagen und teils mehreren Gottesdienstformaten) nicht jedes Jahr vor… Auch deshalb wohl griff Bach dafür auf ein älteres Libretto von Erdmann Neumeister zurück, in dem der Blick auf das vergehende und das neue Jahr mit der Dankbarkeit gegenüber Gott verbunden ist. Bach eröffnet seine Kantate nicht mit einem Tutti-Ensemblesatz, sondern mit einer das individuelle «Bilanzziehen» unterstreichenden a-Moll-Soloarie für Sopran, die durch die doppelte Orchesterbesetzung mit einem Oboenund Streicherchor sowie die ungewöhnliche «Staccato»-Vorschrift der Continuostimme dennoch gewichtigen Ernst entwickelt. Die Einheit von Rückschau und Vorausblick ebenso wie von Dank und Bitte wird durch die von der Eingangsdevise «Gottlob!» geprägte motivische Einheit der an einen tänzerischen Suitensatz erinnernden Komposition hervorgehoben, die dennoch Raum für plastische Wortdeutungen («gedenke!») lässt.
2. Choral
Nun lob, mein Seel, den Herren,
was in mir ist, den Namen sein!
Sein Wohltat tut er mehren,
vergiß es nicht, o Herze mein!
Hat dir dein Sünd vergeben
und heilt dein Schwachheit groß,
errett’ dein armes Leben,
nimmt dich in seinen Schoß,
mit reichem Trost beschüttet,
verjüngt, dem Adler gleich.
Der Kön’g schafft Recht, behütet,
die leiden in seinem Reich.
2. Choral
Das Thema des dankbaren Gotteslobes wird weitergeführt mit der ersten Strophe aus Johann Gramanns bekanntem Choral «Nun lob, mein Seel, den Herren» aus dem Jahr 1530, der ein kleines dogmatisches Konzentrat darstellt: Sündenvergebung, Heilung, Trost, Recht und Behütung für jene, die «leiden in seinem Reich». Der programmatische Rückgriff auf das die gesamte Christengemeinde von alters her verbindende Lobsingen wird durch die Choralbasierung und die von mitlaufenden Posaunen und Zinken unterstrichene archaische Motettenform des Satzes Zeile für Zeile eindrücklich zelebriert.
3. Rezitativ und Arioso — Bass
«So spricht der Herr: Es soll mir eine Lust sein, daß ich ihnen Gutes tun soll; und ich will sie in diesem Lande
pflanzen treulich, von ganzem Herzen und von ganzer Seelen.»
3. Rezitativ
Ein glücklicher, gelungener Griff für das Bassrezitativ und Arioso stellt das strahlende Zitat aus Jeremia 32, 41 dar, das von Gottes «Lust» spricht, Gutes für sein Volk zu tun und es «treulich » im Lande zu «pflanzen». Diese den Menschen zugewandte «Güte» Gottes hat Bach zu einer zart fliessenden Melodieführung inspiriert, die durch die umsichtige Tempovorschrift «arioso ma un poc‘ allegro» jede Schläfrigkeit vermeiden will.
4. Rezitativ — Tenor
Gott ist ein Quell, wo lauter Güte fleußt,
Gott ist ein Licht, wo lauter Gnade scheinet,
Gott ist ein Schatz, der lauter Segen heißt,
Gott ist ein Herr, der’s treu und hertzlich meinet.
Wer ihn im Glauben liebt, in Liebe kindlich ehrt,
sein Wort von Herzen hört
und sich von bösen Wegen kehrt,
dem gibt er sich mit allen Gaben:
Wer Gott hat, der muß alles ha
4. Rezitativ
Erdmann Neumeisters Tenorrezitativ ist eine vierfache Preisung Gottes als «Quell» des Guten, als «Licht» voll Gnade und «Schatz» des Segens, als ein «Herr, der’s treu und hertzlich meinet» – wer ihn liebe und ehre, von Herzen höre und vom Bösen wegkehre, dem schenke Gott sich selber mit all seinen Gaben. Dieser tiefgründigen und von bekenntnishafter Liebe erfüllten Annäherung an die Natur und das Wesen Gottes hat Bach durch die beigegebene Streicherbegleitung feierliche Würde verliehen.
5. Arie Duett — Alt und Tenor
Gott hat uns im heurigen Jahre gesegnet,
daß Wohltun und Wohlsein einander begegnet.
Wir loben ihn herzlich und bitten darneben,
er woll auch ein glückliches neues Jahr geben.
Wir hoffen’s von seiner beharrlichen Güte
und preisen’s im voraus mit dankbarm Gemüte.
5. Arie Duett
Das Duett verbindet den dankbaren Blick zurück mit der hoffnungsvollen Bitte, dass Gott auch ein «glückliches neues Jahr geben» werde – eine Zusammenfassung des frommen Inhalts der Kantate. Der in einem leichtfüssigen Giga-Duktus gesetzte Zwiegesang verknüpft auf gelungene Weise sprechende Eingängigkeit mit kunsthafter imitatorischer Führung der Stimmen.
6. Choral
All solch dein Güt wir preisen,
Vater in’s Himmels Thron,
die du uns tust beweisen,
durch Christum, deinen Sohn,
und bitten ferner dich:
Gib uns ein friedsam Jahre,
für allem Leid bewahre
und nähr uns mildiglich!
6. Choral
Für den wiederum vom Orchester samt den kernigen Blechbläsern verstärkten Schluss greift Neumeister auf die 6. Strophe von Paul Ebers Choral «Helft mir, Gotts Güte preisen» (um 1580) zurück, das auf ein «friedsam Jahr» und Bewahrung vor Leid hofft. Es endet mit der einen zuversichtlichen Dur-Schluss nahelegenden Bitte: «und nähr uns mildiglich!»