Ich lebe, mein Herze, zu deinem Ergötzen

BWV 145 // zum 3. Ostertag

für Sopran, Tenor und Bass, Oboe d’amore I+II, Traversflöte, Trompete, Streicher und Basso continuo

Einen raren Einblick in Bachs Aufführungswerkstatt gewährt die nur in späterer Abschrift und womöglich unvollständig überlieferte Kantate «Ich lebe, mein Herze, zu deinem Ergötzen». Sind doch den fünf zweifellos Bach’schen Sätzen dort noch ein Choral sowie ein Fugenchor Telemanns vorangestellt, die vielleicht mit einer Umwidmung zum Ostersonntag zu tun haben. Im einleitenden Duett für Sopran und Tenor sowie in der Bassarie dominieren deutende Klangfarben, die die mit der Auferstehung verbundene Verwandlung in einer funkelnden Violinpartie fassen sowie die Wundermacht des Osterfürsten mit Trompetenfanfaren über einem tänzerischen Orchesterteppich illustrieren. Bachs sensibler Musik geht es hörbar darum, Jesu befreiendes Leben und die Überwindung des mosaischen Gesetzes unmittelbar dem Herzen einzuprägen.

J.S. Bach-Stiftung Kantate BWV 145

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Lutzogramm zur Werkeinführung

Manuskript von Rudolf Lutz zur Werkeinführung
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Akteure

Solisten

Sopran
Johannette Zomer

Alt/Altus
Alexandra Rawohl

Tenor
Colin Balzer

Bass
Matthias Helm

Orchester

Leitung & Cembalo
Rudolf Lutz

Violine
Renate Steinmann, Olivia Schenkel, Claire Foltzer, Elisabeth Kohler, Marita Seeger, Salome Zimmermann

Violoncello
Martin Zeller

Violone
Markus Bernhard

Trompete
Patrick Henrichs

Traversflöte
Tomoko Mukoyama

Oboe d’amore
Andreas Helm, Philipp Wagner

Fagott
Susann Landert

Orgel
Nicola Cumer

Musikal. Leitung & Dirigent

Rudolf Lutz

Werkeinführung

Mitwirkende
Rudolf Lutz, Pfr. Niklaus Peter

Reflexion

Referentin
Sr. Manuela Schreiner

Aufnahme & Bearbeitung

Aufnahmedatum
26.04.2019

Aufnahmeort
ev. Kirche St. Mangen // St. Gallen

Tonmeister
Stefan Ritzenthaler, Nikolaus Matthes

Regie
Meinrad Keel

Produktionsleitung
Johannes Widmer

Produktion
GALLUS MEDIA AG, Schweiz

Komponist Sinfonia
Rudolf Lutz

Produzentin
J.S. Bach-Stiftung, St. Gallen, Schweiz

Zum Werk

Textdichter

Erstmalige Aufführung
19. April 1729, Leipzig

Textdichter

Christian Friedrich Henrici (Picander), Leipzig, 1728/32

  • Satz a (später für eine Aufführung zum Ostersonntag ergänzt): Caspar Neumann (Breslau, um 1700)
  • Satz b (später für eine Aufführung zum Ostersonntag aus TWV 1:1350 ergänzt); Römer 10, 9
  • Satz 5: Nikolaus Herman (1560)

Vertiefte Auseinandersetzung mit dem Werk

Die Kantate BWV 145 gehört zu den von der Überlieferung und vom Stilbefund her vertracktesten Gegenständen der Bach-Aufführungspraxis – Echtheitszweifel gehen dabei mit offenen Fragen bezüglich der Vollständigkeit der tradierten Werkfassung einher. Zwar liegt durch zwei von Bachs Leipziger «Hausdichter» Picander 1728/29 veranlasste Textdrucke eine Nähe zu Bachs Kompositionstätigkeit nahe; die erst aus dem 19. Jahrhundert stammenden und dem Umfeld von Carl Friedrich Zelters Singakademie zu Berlin zuzurechnenden Abschriften stellen Picanders fünfsätzigem Libretto jedoch zwei Sätze voran, die auf Carl Philipp Emanuel Bach (Choralsatz «Auf, mein Herz») sowie eine Kantate Georg Philipp Telemanns (Chorsatz «So du mit deinem Munde») und damit auf einen Bearbeiter des späteren 18. Jahrhunderts zurückgehen. Auffällige Disparitäten im musikalischen Stil lassen zumindest eine alleinige Autorschaft Johann Sebastian Bachs bereits an den fünf Picander-Sätzen zweifelhaft erscheinen; denkbar wäre eine vom Thomaskantor gemeinsam mit einem Schüler – etwa dem jungen Carl Philipp Emanuel Bach – zur Aufführung eingerichtete Komposition. Keine abwegige Annahme – legt doch bereits die begrenzte Zahl erhaltener Vertonungen des sogenannten «Picander-Jahrgangs» durch Bach senior den u.a. von Peter Wollny geäusserten Gedanken einer auf mehrere Tonsetzer verteilten Arbeit nahe.

Entsprechend der musikalischen Überlieferung beginnt die Kantate mit dem Choralsatz «Auf, mein Herz, des Herren Tag». Wiewohl Carl Philipp Emanuel Bach ihn unter die von ihm herausgegebenen vierstimmigen Choräle seines Vaters einreihte, konnte er neuerdings als Arbeit des Hamburger Bach-Sohns nachgewiesen werden, was auch zum etwas glatteren Höreindruck passt. Der mit einem charmanten Sopran-Alt-Duett beginnende Chor «So du mit deinem Munde bekennest Jesum» entstammt der 1723 komponierten gleichnamigen Osterkantate TWV 1:1350 Georg Philipp Telemanns; ihre Vivace-Chorfuge entwickelt vor allem dank der obligaten Trompetenstimme und trotz der etwas kurzatmigen Melodik und der ein wenig stehenden Kadenzen einigen konzertanten Drive.

Die eigentliche Picander-Vertonung beginnt mit dem Duett mit obligater Violine «Ich lebe, mein Herze», in dessen zupackendem Gestus man entweder eine Parodie eines weltlichen Werkes aus Bachs Köthener Zeit oder doch die (Mit-)Arbeit eines an Bachs Stil orientierten jüngeren Komponisten vermuten darf. Das folgende Tenorrezitativ «Nun fordre Moses, wie du willt» verabschiedet in entschlossenem Duktus das «dräuende Gesetz» des Alten Bundes; vor allem die bewegende Adagio-Passage «Mein Herz, das merke dir» steht Bachs Rezitativstil auffällig nahe. Anders verhält es sich mit der folgenden Bassarie, die zum einzigen Mal in der fünfsätzigen Picander-Vertonung das volle Instrumentarium einschliesslich Trompete, Traversflöte und zweier Oboen d’amore heranzieht, dabei jedoch einen merkwürdig uneinheitlichen Eindruck hervorruft. Während Passagen wie der harmonisch ausgreifende Schluss des Eingangsritornells viel Bach‘schen Geist verraten, wirken der simple Unisono-Gestus des Beginns sowie die zuweilen zögerlichen Fortschreitungen doch ein wenig unfertig – was der Wirkung des mahnenden Bassauftritts nicht entgegensteht. Mit dem nächsten Rezitativ meldet sich der Sopran zurück, der aus Jesu Leben und Auferstehung Trost und Kraft zur Weltabwendung schöpft. Dass die Kantate danach ausgerechnet mit einem Liedsatz schliesst, dessen altreformatorisch-archaische Melodie gestalt in auffälligem Gegensatz zu den galanten Zügen der Arien und des Telemann-Chores steht, passt zu den Ambivalenzen dieses eigentümlichen Kantatenkonvolutes.

Schon die spätere Ergänzung der Picander-Fassung setzte sich offenkundig das Ziel, die Kantate architektonisch auszubalancieren und vor allem das geforderte Instrumentarium besser auszunutzen. Da eine Kantateneröffnung mit einem vierstimmigen Choralsatz für Johann Sebastian Bach gänzlich untypisch wäre, Picanders Textdruck aber die Voranstellung einer Sinfonia (wie etwa im Fall der Kantate BWV 42) keineswegs ausschliesst, hat Rudolf Lutz in seiner Annäherung an das Material einen kurzen dreiteiligen Instrumentalsatz entworfen, der im Duktus einer Ouvertüre mit barocken Topoi arbeitet und so den wahrscheinlichen Kantatentorso in ein schlüssiges Präsentationskonzept einbindet. Diese alternative Fassung haben wir in dieser Einspielung ebenfalls zur Diskussion gestellt.

Text des Werks und musikalisch-theologische Anmerkungen

Was für eine schöne, von Freude erfüllte österliche Musik, die Kantate BWV 145: «Ich lebe, mein Herze, zu deinem Ergötzen», singt die Tenorstimme (Jesus) – und die Sopranstimme (Seele) antwortet: «Du lebest, mein Jesu, zu meinem Ergötzen, dein Leben erhebet mein Leben empor» – eine Theologie der Erhebung, des erneuerten Lebens. Sie wurde erstmals am 3. Ostertag (19. April) 1729 in Leipzig aufgeführt, ist jedoch nur in späterer Abschrift überliefert. Stilistische Eigenheiten lassen zudem mindestens die Alleinautorschaft Bachs an der 1728 und nochmals 1732 gedruckten Picander-Vertonung fraglich erscheinen. Die verzwickte Überlieferungssituation lud dazu ein, die Kantate bei der heutigen Aufführung in zwei Varianten zu präsentieren. Zunächst wird jene über den Librettodruck Picanders hinausgehende siebensätzige Version dargeboten, wie sie in den einzig erhaltenen Quellen des frühen 19. Jahrhunderts enthalten ist. Die zu einem unbekannten Zeitpunkt erfolgte Einbeziehung eines Choralsatzes (1787 von Carl Philipp Emanuel Bach als väterliche Komposition beglaubigt) sowie eines konzertanten Fugenchores von Telemann verleiht dem Stück ein mit der Umwidmung zum Ostersonntag verbundenes grösseres Gewicht. Die zweite Aufführung konzentriert sich auf die fünf vertonten Sätze der Picander-Dichtung und damit die wahrscheinliche Darbietungsversion von 1729. Doch hat Rudolf Lutz dazu eine kurze instrumentale Einleitung komponiert, die im handwerklich-kollegialen Geist partiell die strukturelle Unausgewogenheit einer Kernfassung korrigiert, die auch hinsichtlich einer immerhin denkbaren Sinfonia nicht eindeutig zu rekonstruieren ist.

Erste Aufführung

a) Choral (BWV 145/1)

Auf, mein Herz, des Herren Tag
hat die Nacht der Furcht vertrieben:
Christus, der im Grabe lag,
ist im Tode nicht geblieben.
Nunmehr bin ich recht getröst,
Jesus hat die Welt erlöst.

b) Chor (Georg Philipp Telemann, aus der Kantate TWV 1:1350)

«So du mit deinem Munde bekennest Jesum,
dass er der Herr sei, und gläubest in
deinem Herzen, dass ihn Gott von den Toten
auferwecket hat, so wirst du selig.»

Es folgen: Nummern 1 – 5

Zweite Aufführung

a) Sinfonia zu BWV 145 (Rudolf Lutz)

Es folgen: Nummern 1 – 5

1. Arie — Duett
(Jesus: Tenor, Seele: Sopran)

Jesus
Ich lebe, mein Herze, zu deinem Ergötzen,
mein Leben erhebet dein Leben empor.

Seele
Du lebest, mein Jesu, zu meinem Ergötzen,
dein Leben erhebet mein Leben empor.
Die klagende Handschrift ist völlig zerrißen,
der Friede verschaffet ein ruhig Gewißen
und öffnet den Sündern das himmlische Tor.

 

1. Arie – Duett (Tenor und Sopran)

Der Textdichter Picander setzt einen beschwingten Dialog an den Anfang dieser Kantate zum dritten Ostertag, ein Gespräch zwischen Jesus (Tenor) und der Seele (Sopran). Es bringt die Osterbotschaft von der Auferstehung in ihrer Bedeutung für das Leben des Glaubenden zur Sprache, dies in einer doppelten Aufwärtsbewegung: Jesu Auferweckung hebt das menschliche Leben empor und erneuert es: «Du lebest, mein Jesu, zu meinem Ergötzen, dein Leben erhebet mein Leben empor.» Das schöne Wort «Ergötzen» kommt ursprünglich von Vergessen im Sinne von «vergessen machen», befreit werden, deshalb fährt die Seele nun fort, dass damit die «klagende Handschrift» (der Schuldschein, der die Sünden dokumentiert) zerrissen und alle Schuld vergessen gemacht ist. Dieser Eröffnungssatz verbindet eine muntere Violinpartie, die österliche Fanfarenmotive einbezieht, mit einem überraschend leichten Tonfall. Die durchsichtige Dialoganlage lässt an eine weltliche Parodievorlage denken, deren Heranziehung sowohl den Komponisten wie den zwischen Passion und Ostern stark beanspruchten Thomanerchor entlasten mochte.

2. Rezitativ — Tenor

Nun fordre, Moses, wie du willt,
das dräuende Gesetz zu üben,
ich habe meine Quittung hier
mit Jesu Blut und Wunden unterschrieben.
Dieselbe gilt,
ich bin erlöst, ich bin befreit
und lebe nun mit Gott in Fried und Einigkeit,
der Kläger wird an mir zuschanden,
denn Gott ist auferstanden.
Mein Herz, das merke dir!

2. Rezitativ – Tenor

Das Scheitern an der unerfüllbaren, dräuenden (= drohenden) Forderung des mosaischen Gesetzes, so erklärt das Rezitativ die lutherische Dialektik von Gesetz und Evangelium, ist durch die Passion und das Sterben Jesu überwunden. Die Quittung, der gültige Beleg für diese Überwindung, ist mit Jesu Blut und Wunden unterschrieben, sie bezeugt das Geschehen: Gott selbst ist auferstanden – deshalb der österliche Jubel der Befreiung und Erlösung! An der musikalisch meisterhaften Umsetzung der gewichtigen Textaussagen gibt es wenig zu bemängeln; das Rezitativ endet mit einer eindringlichen Adagio-Wendung, die dem zagenden Herz die Kernbotschaft gleichsam von oben einzuschärfen scheint.

3. Arie — Bass

Merke, mein Herze, beständig nur dies,
wenn du alles sonst vergißt,
daß dein Heiland lebend ist;
merke, mein Herze, beständig nur dies.
Lasse dieses deinem Gläuben
einen Grund und Feste bleiben,
auf solchem besteht er gewiß.
Merke, meine Herze, merke nur dies!

3. Arie – Bass

Und so wie das Rezitativ mit dem Satz «Mein Herz, das merke dir» aufhört, so vertieft die Arie mit einem dreimaligen «Merke, mein Herze, beständig nur dies» das Grundlegende dieses Geschehens. Die Arie beginnt im kraftvollen D-Dur-Unisono des mit Streichern, zwei Oboen d‘amore, Traversflöte und Trompete reich besetzten Orchestersatzes, der dem sonor auftretenden Bassisten dennoch allen Raum zur Entfaltung bietet. Die eigenartige Verbindung einer erstaunlich unkompliziert durchlaufenden Satzanlage mit unverkennbar Bach’schen Wendungen lässt hier an die (Mit-)Arbeit eines jüngeren Kollegen bzw. Meisterschülers denken.

4. Rezitativ — Sopran

Mein Jesus lebt,
das soll mir niemand nehmen,
drum sterb ich sonder Grämen.
Ich bin gewiß
und habe das Vertrauen,
daß mich des Grabes Finsternis
zur Himmelsherrlichkeit erhebt;
mein Jesus lebt,
ich habe nun genug,
mein Herz und Sinn
will heute noch zum Himmel hin,
selbst den Erlöser anzuschauen.

4. Rezitativ – Sopran

Die persönliche Aneignung dieses österlichen Geschehens erfolgt im Rezitativ der Sopranstimme, die für die Seele steht. Die Osterbotschaft «Mein Jesus lebt» nimmt die eigenen Todesängste, sie schenkt Vertrauen und die Hoffnung, sie verspricht die Begegnung, die beglückende visio beatifica mit dem lebendigen Erlöser. Während die Umsetzung von Schlüsselworten wie «Finsternis» und «Himmel» dem Arsenal der abbildenden Figurenlehre entspricht, wird der Satz durch die gesteigerte Wiederholung der Botschaft vom «lebenden Jesus» wirkungsvoll gegliedert.

5. Choral

Drum wir auch billig fröhlich sein,
singen das Halleluja fein
und loben dich, Herr Jesu Christ;
zu Trost du uns erstanden bist.
Halleluja!

5. Choral

Die Kantate schliesst mit der 14. Strophe des Osterchorals «Erschienen ist der herrlich Tag» von Niklaus Herman (1560) und krönt sie mit österlicher Fröhlichkeit und einem Halleluja. Das altreformatorische Lied mit seinen kernigen Aufwärtsmotiven balanciert im vollen vierstimmigen Satz den zuvor mehr solistisch-empfindsamen Tonfall der Kantate aus.

Reflexion

Sr. Manuela Schreiner

Göttliche Musik zum Gottergreifen

Hören wir einen kleinen Moment gemeinsam in die erhebende Stille…

Spüren Sie, dass das Gehörte mit der Stille in unserem Innern wächst?
Mir ist, als schwelle es in mir an.

In diesem Lauschen verweilend, spüre ich eine Bewegung. Vielleicht sind es die Töne, die sich in meinem Herzen formieren?

Nein, ich denke, es ist vielmehr ein inniger Tanz – es ist die erhobene Seele, die sich in ihrer echten Berufung wahrnimmt und die vor Freude an dieser Wahrheit tanzt!

Spüren Sie es auch?

Schauen Sie, Jesus hat mich tief ergriffen…

Ich glaube, darum haben Sie mich heut in dieser Osteroktav hierhergerufen.

Darum stehe ich – als Ordensfrau – hier und bin eingeladen, Zeugnis zu geben alleine durch dieses Kleid!

Wir sind alle ER-griffen von dem eben Gehörten. Wir sind «ER-Griffene», das heisst für mich, es ist Gott, es ist ER – von dem Johannes (21, 7; Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: «Es ist der Herr!» Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, gürtete er sich das Obergewand um, weil er nackt war, und sprang in den See.) beim Fischfang nach der Auferstehung Jesu zu Petrus sagt: «Es ist der Herr!» Aufgrund dieser Erkenntnis Petrus das Obergewand umbindet und voller überwältigendem Gefühl und Sehnsucht in den See springt, um zum Herrn – zum Geliebten – zu gelangen.

Auch wir fühlen dieses ER-Kennen, dieses Hoch-gerissen-Sein, denn wir nehmen wahr den, der uns durch die göttliche Musik ergreift, der uns berührt und in seine Wirklichkeit zieht.

Ja – es ist in der Tat die Musik, es sind die gesungenen Worte, die uns erheben, die uns eine Wirklichkeit zeigen, von der wir schon von Kindesbeinen an ahnen (hoffen?), dass sie existiert.

Warum ahnen wir es? Woher kommt dieses Sehnen … dieser kleine Same, der unsere Herzen immer wieder anrührt, der wie eine warme Glut in uns brennt und entfacht wird durch solche zeugenklare Klänge?

Ist es die Sehnsucht nach Frieden? Nach Aufgeräumtheit oder besser nach Herzensreinheit? …

Ja – es ist die Hoffnung, die uns diese göttliche Wirklichkeit erahnen, mehr noch wissen lässt! Es ist die erhebende unbegründete innere Freude, die IHN spürbar … manchmal gar sichtbar zu machen scheint – vor allen in den strahlenden Augen glücklicher Kinder … in den strahlenden Augen jener, die solche Musik hören oder singen.

Begründet spricht Paulus in seinem Hebräerbrief (11, 1): «Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft. ÜBERZEUGT SEIN VON Dingen, die man nicht sieht…»

Und schon nehmen wir uns in unserer ohnmächtigen Kleinheit wahr…, in unserem Unvermögen, Gott zu erkennen…

Und genau in diese Kleinheit, in dieses Unvermögen hinein stellt Gott die gewaltige Auferstehung seines Sohnes! Denn ER ist es, der aus den Worten des Tenors spricht:

«Ich lebe, mein Herze, zu deinem Ergötzen!»

Ergötzen (!) – ein Wort, das uns nicht mehr geläufig ist, das uns fremd tönt. Und doch ist es ein unersetzliches Wort, denn Jesus spricht hier zu der Seele: «Ich möchte meine Lust nach dem Lebendigen, nach dem ewigen Leben in deine Seele einsenken!»

Ja, es ist meine Lust, dich Mensch zu ergreifen, dich herauszuziehen aus allem Toten und Unheilen. Es ist meine Freude, dein Herz einzutauchen in die gleiche lebensschaffende Freude, die mich aus dem Tod ins Leben rief.

Schauen Sie, es ist Ihre und meine Berufung, zumindest als Christen aus dieser seligmachenden Verheissung zu leben, aus der Verheissung Erlöste zu sein. Und diese freudvolle Kraft hat atomare Wirkung!

Der sogenannte «kleine Bischof», der 1975 zum Aachener Bischof berufene Klaus Hemmerle, prägte den schönen Begriff «Osteraugen». Wenn wir in der Freude eines befreiten und erlösten Menschen auf die Welt und unsere Schöpfung schauen, dann geben wir dieser Welt trotz Dunkelheit und Widrigkeit, trotz Hass und Zerstörung ein neues, ein erlöstes Gesicht. Eine neue strahlende Wirklichkeit … einen Glanz der eigentlichen Bestimmung, zu welch Grossem wir gerufen sind!

Wenn wir mit Freude etwas Betrachten, dann bekommt es Lebendigkeit, selbst die Farben einer Blume leuchten frischer und fröhlicher, wenn ich sie beglückt beschaue. Ein fröhlicher Blick, ein gutes Wort erzählt der Schöpfung von ihrer Bestimmung, denn nicht umsonst heisst es in der Schöpfungsgeschichte am Ende eines jeden Schöpfungstages (Gen. 1, 10): «Gott sah, dass es gut war!»

Wie können wir uns als ER-löste spüren, als Menschen, denen die Fesseln der Sklaverei so mancher Ursünde genommen sind? Weil Jesus FÜR UNS den Weg des Kreuzes gegangen ist, weil ER alle unsere Belastungen, alles Negative, unsere Sünden getragen hat … um uns zum Leben zu befreien, um uns für die unendlich ewige Liebe des Vaters freizumachen.

Durch sein Kreuz hat ER alles mitgenommen, um uns einen direkten Weg, eine neue direkte Kommunikation mit dem Vater zu ermöglichen. Wir müssen nur glauben, nichts Grösseres und nichts Kleineres – nur GLAUBEN!

Welcher Mensch schafft das, dass er für andere etwas trägt? Vielleicht schaffen wir es im Kleinen, vielleicht würden wir gerne, wenn eine geliebte Tochter, ein geliebter Sohn leidet, dieses «für» auf uns nehmen. Aber wir schaffen es kaum oder nur wenige Begnadete. Und genau, weil dieses «FÜR» für uns so schwierig ist, stellt sich Gott selber in diese Aufgabe. ER möchte uns ganz gleich sein, obwohl ER so viel grösser und erhabener ist als wir, seine Kreaturen.

Wenn ich auf mein eigenes Leben bis heute schaue, dann kenne ich genau die Tage, die trübseligen Stunden, in denen Jesus dieses «für dich» für mich gesprochen hat. ER hat es getan, damit ich IHM näher kommen kann, denn gerade durch das Schwere meines Lebens kam ER mir nahe, verstand ich ein bisschen mehr von meiner eigenen Berufung.

Ich sehe immer wieder das Bild eines Kindes, das beim übermütigen Herumspringen strauchelt und stürzt. Und wie die Mutter zu ihm eilt, es in den Arm nimmt, es tröstet, vielleicht mit ein bisschen «Speuz» den ersten Schmerz heilt. Genau so handelt Gott! ER eilt zu uns hin, die wir gefallen sind und mit der Seele am Boden (Ps. 119, 25) kleben. ER eilt, hebt uns auf, nimmt uns tröstend in den Arm und betupft die schmerzenden Wunden.

Welche Zärtlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf … welcher Sehnsucht begegne ich da in meiner Seele?

Dann möchte ich einstimmen und singen:
«Ich bin gewiss und habe das Vertrauen, dass mich des Grabes Finsternis zur Himmelsherrlichkeit erhebt; mein Jesus lebt … mein Herz und Sinn will heute noch zum Himmel hin.»

Dieses Sehnen, das wir da hören, kann nur von einer Seele gesprochen sein, die durch das Fallen der Zärtlichkeit und Liebe Gottes, des Vaters, begegnet ist.

Und diese sich verschenkende Liebe des Vaters im Sohn erhebt uns ohnmächtige und kleine Menschen in eine grosse Königswürde. Der Tod und die Auferstehung Jesu erheben uns in die Würde der Kinder Gottes. Zu nichts Geringerem sind wir berufen!!!

Stimmen wir erneut ein in dieses grosse Liebeslied zwischen der Menschenseele und dem Auferstandenen, das uns heute so wundersam durch so begnadete Künstler geschenkt ist. Aus ihrer Musik spricht die triumphale Himmelsfreude, aus den Gesängen die Freude der Königswürde … zu der wir erhoben sind.

Einschätzung und Argumentation zur Kantate BWV 145

Die Kantate «Ich lebe, mein Herze, zu deinem Ergötzen» BWV 145 gehört zu denjenigen Stücken innerhalb des Bach’schen Kantatenkanons, bei denen bereits seit den Zeiten des Bachforschers Philipp Spitta (1841–1894) Fragen nach der Echtheit und Vollständigkeit im Raum stehen.

Dr. Anselm Hartinger hat seine Einschätzung und Argumentation zur Kantate schriftlich festgehalten. Der Text stellen wir Ihnen im PDF-Format als Download zur Verfügung.

Download

Quellenangaben

Alle Kantatentexte stammen aus «Neue Bach-Ausgabe. Johann Sebastian Bach. Neue Ausgabe sämtlicher Werke», herausgegeben vom Johann-Sebastian-Bach-Institut Göttingen und vom Bach-Archiv Leipzig, Serie I (Kantaten), Bd. 1–41, Kassel und Leipzig, 1954–2000.
Alle einführenden Texte zu den Werken, die Texte «Vertiefte Auseinandersetzung mit dem Werk» sowie die «musikalisch-theologische Anmerkungen» wurden von Anselm Hartinger und Pfr. Niklaus Peter sowie Pfr. Karl Graf verfasst unter Bezug auf die Referenzwerke: Hans-Joachim Schulze, «Die Bach-Kantaten. Einführungen zu sämtlichen Kantaten Johann Sebastian Bachs», Leipzig, 2. Aufl. 2007; Alfred Dürr, «Johann Sebastian Bach. Die Kantaten», Kassel, 9. Aufl. 2009, und Martin Petzoldt, «Bach-Kommentar. Die geistlichen Kantaten», Stuttgart, Bd. 1, 2. Aufl. 2005 und Bd. 2, 1. Aufl. 2007.

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