Wer mich liebet, der wird mein Wort halten

BWV 074 // zum 1. Pfingsttag

für Sopran, Alt, Tenor und Bass, Vokalensemble, Trompete I–III, Pauken, Oboe I+II, Oboe da caccia, Streicher und Basso continuo

Es gibt gleich zwei Bach-Kantaten für den ersten Pfingsttag (BWV 59, BWV 74), welche das schöne Zitat aus Johannes 14, 23 an den Anfang setzen: «Wer mich liebet, der wird mein Wort halten.» Mit der hier aufgeführten Kirchenmusik BWV 74 aus dem Jahr 1725, nun nach einem Libretto der Leipziger Dichterin Christiane Mariane von Ziegler, hat der Thomaskantor jedoch die deutlich abgerundetere Fassung vorgelegt. In sie sind zwei Sätze der wohl bereits 1723/24 fertiggestellten kleineren Schwesterversion BWV 59 eingegangen. Die Thematik des Pfingstfestes, der Heilige Geist, der bei den Menschen «Wohnung» nimmt, ihre Herzen öffnet, sie liebesfähig macht und auch tröstet, wird auf bewegende Weise in Wort und Musik gebracht. Der vom Duett zum vollgültigen Chorsatz samt reicherem Bläserklang gereifte Eingangssatz setzt einen festlichen Ton, in den sich die apart instrumentierten Arien ebenso einordnen wie die jeweils dem Bass übertragenen und als Arioso und Rezitativ umgesetzten weiteren Schriftworte aus dem Johannesevangelium und Römerbrief. Damit verbindet die Kantate in ausgewogener Weise Glanz und Zugänglichkeit, sie zeigt Bibeltreue und eine persönliche Form religiöser Aneignung.

Video

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Lutzogramm zur Werkeinführung

Manuskript von Rudolf Lutz zur Werkeinführung
Download (PDF)

Akteure

Solisten

Sopran
Ulrike Hofbauer

Alt/Altus
Benjamin Williamson

Tenor
Jakob Pilgram

Bass
Matthias Helm

Chor

Sopran
Alice Borciani, Jennifer Ribeiro Rudin, Simone Schwark, Linda Loosli, Lia Andres, Mirjam Wernli

Alt
Jan Thomer, Antonia Frey, Laura Binggeli, Lea Scherer, Alexandra Rawohl

Tenor
Marcel Fässler, Klemens Mölkner, Manuel Gerber, Christian Rathgeber

Bass
Philippe Rayot, Julian Redlin, Daniel Pérez, Simón Millán, Tobias Wicky

Orchester

Leitung
Rudolf Lutz

Violine
Éva Borhi, Péter Barczi, Christine Baumann, Petra Melicharek, Dorothee Mühleisen, Ildikó Sajgó, Aliza Vicente

Viola
Martina Bischof, Matthias Jäggi, Sarah Mühlethaler

Violoncello
Maya Amrein, Jakob Valentin Herzog

Violone
Markus Bernhard

Oboe
Andreas Helm, Philipp Wagner

Oboe da caccia
Andreas Helm, Clara Espinosa Encinas

Fagott
Susann Landert

Trompete
Patrick Henrichs, Peter Hasel, Klaus Pfeiffer

Pauke
Martin Homann

Cembalo
Thomas Leininger

Orgel
Nicola Cumer

Musikal. Leitung & Dirigent

Rudolf Lutz

Werkeinführung

Mitwirkende
Rudolf Lutz, Pfr. Niklaus Peter

Reflexion

Referent
Kerstin Wiese

Aufnahme & Bearbeitung

Aufnahmedatum
26.05.2023

Aufnahmeort
Trogen (AR) // Evangelische Kirche

Tonmeister
Stefan Ritzenthaler

Regie
Meinrad Keel

Produktionsleitung
Johannes Widmer

Produktion
GALLUS MEDIA AG, Schweiz

Produzentin
J.S. Bach-Stiftung, St. Gallen, Schweiz

Zum Werk

Textdichter

Erste Aufführung
20. Mai 1725, Leipzig

Textgrundlage
Johannes 14, 23 (Satz 1); Christiane Mariane von Ziegler (Sätze 2–3, 5, 7); Johannes 14, 28 (Satz 4); Römerbrief 8, 1 (Satz 6); Paul Gerhardt (Satz 8)

Text des Werks und musikalisch-theologische Anmerkungen

1. Chor

«Wer mich liebet, der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.»

1. Chor

Der Eingangschor setzt ein mit dem Jesuswort aus den johanneischen Abschiedsreden (Joh. 14, 23), das zur Pfingstepistel aus Acta 2, 1–13 gut passt: Die Verheissung, der Geist werde beim Menschen wohnen und so die Lücke füllen, die nach dem Weggang Jesu entsteht: «… wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.» Die gegenüber der Fassung aus BWV 59 um eine dritte Trompete, ein teilobligates Oboentrio sowie Alt und Tenor erweiterte Besetzung ermöglicht ein mehrchöriges Konzertieren, ohne dem Satz seine funkelnde Durchsichtigkeit zu nehmen.

2. Arie — Sopran

Komm, komm, mein Herze steht dir offen,
ach, laß es deine Wohnung sein!
Ich liebe dich, so muß ich hoffen:
dein Wort trifft itzo bei mir ein;
denn wer dich sucht, fürcht’, liebt und ehret,
dem ist der Vater zugetan.
Ich zweifle nicht, ich bin erhöret,
daß ich mich dein getrösten kann.

2. Arie

Die Librettistin Christiane Mariane von Ziegler lässt in der Sopranarie die gläubige Seele diese Verheissung des Pfingstfestes überschwänglich bekräftigen: «Komm, komm, mein Herze steht dir offen»; diese zweifelt nicht, dass allen, die Gott suchen, lieben, fürchten, ehren, des Geistes Trost gewiss ist. Auch diese Arie ist aus der Erstfassung übernommen, hat durch den Wechsel von Violine und Bass zu Oboe da caccia und Sopran jedoch an zarter Leichtigkeit gewonnen.

3. Rezitativ — Alt

Die Wohnung ist bereit.
Du findst ein Herz, das dir allein ergeben,
drum laß mich nicht erleben,
daß du gedenkst, von mir zu gehn.
Das laß ich nimmermehr, ach, nimmermehr geschehen!

3. Rezitativ

Das Altrezitativ bestätigt: «Die Wohnung ist bereit» und das Herz ergeben, doch wird die Thematik der Abschiedsreden pfingstlich gewendet in der Versicherung: «Drum lass mich nicht erleben, dass du gedenkst, von mir zu gehen.»

4. Arie — Bass

«Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen.»

4. Arie

Die Antwort folgt in der Bassarie (wieder aus den Abschiedsreden Joh. 14, 28): «Ich gehe hin und komme wieder zu euch», nun mit der Ermahnung: «Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen.» Bach kombiniert den einem Jesuswort geziemenden sanftmütigen Ernst der sängerischen Kantilene mit einer geschäftigen Continuomotivik, in deren arbeitsam modulierenden Aufwärtsbewegungen die Mühsal des Werbens Jesu um die vertrauende Nachfolge der Gläubigen hörbar wird.

5. Arie — Tenor

Kommt, eilet, stimmet Sait und Lieder
in muntern und erfreuten Ton.
Geht er gleich weg, so kömmt er wieder,
der hochgelobte Gottessohn.
Der Satan wird indes versuchen,
den Deinigen gar sehr zu fluchen.
Er ist mir hinderlich,
so glaub ich, Herr, an dich.

5. Arie

In der Tenorarie kommentiert von Ziegler dichterisch die Situation der Glaubenden und ermuntert sie zu freudigem Spiel und Gesang. Der ausgedehnte Satz bringt im leuchtenden G-Dur und Gestus eines Violinkonzertes den Umschlag zum lautstarken Bekenntnis, wobei er – auf etwas gewagte Weise – die Hoffnung auf die Wiederkunft Christi mit der Warnung vor den Versuchungen des Satans verbindet.

6. Rezitativ — Bass

«Es ist nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind.»

6. Rezitativ

Das von drei Oboen begleitete Bassrezitativ jedoch gibt mit einem Pauluszitat aus Römer 8, 1 Entwarnung: «Es ist nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind.»

7. Arie — Alt

Nichts kann mich erretten
von höllischen Ketten
als, Jesu, dein Blut.
Dein Leiden, dein Sterben
macht mich ja zum Erben:
Ich lache der Wut.

7. Arie

Darauf folgt eine Paraphrase und dogmatische Bestätigung des Paulussatzes durch die Librettistin: Nur Leiden und Sterben Jesu können Rettung und Anteil am Himmelserbe bringen; dann endet diese Arie mit dem frappanten Reim: «Ich lache der [sc. höllischen] Wut.» Mit der überraschenden Kombination eines an die Ouvertüren «auf Concertenart» Georg Philipp Telemanns erinnernden tänzerischen Orchestersatzes mit einer hochdramatischen Altpartie streift Bach den Bereich der opernhaften Affektzeichnung mehr als ein wenig. Doch erweist sich solch entfesseltes Musizieren als perfekte Evokation des Glaubens an den siegenden Heiland.

8. Choral

Kein Menschenkind hier auf der Erd
ist dieser edlen Gabe wert,
bei uns ist kein Verdienen;
hier gilt gar nichts als Lieb und Gnad,
die Christus uns verdienet hat
mit Büßen und Versühnen.

8. Choral

Die Kantate schliesst mit der vom vollen Orchester (einschliesslich einer Trompete) begleiteten 2. Strophe von Paul Gerhardts Pfingstchoral «Gott Vater, sende deinen Geist». In ihr wird die Gabe des Geistes nicht auf Menschenverdienst, sondern auf Gottesgnade bezogen.

Quellenangaben

Alle Kantatentexte stammen aus «Neue Bach-Ausgabe. Johann Sebastian Bach. Neue Ausgabe sämtlicher Werke», herausgegeben vom Johann-Sebastian-Bach-Institut Göttingen und vom Bach-Archiv Leipzig, Serie I (Kantaten), Bd. 1–41, Kassel und Leipzig, 1954–2000.
Alle einführenden Texte zu den Werken, die Texte «Vertiefte Auseinandersetzung mit dem Werk» sowie die «musikalisch-theologische Anmerkungen» wurden von Anselm Hartinger und Pfr. Niklaus Peter sowie Pfr. Karl Graf verfasst unter Bezug auf die Referenzwerke: Hans-Joachim Schulze, «Die Bach-Kantaten. Einführungen zu sämtlichen Kantaten Johann Sebastian Bachs», Leipzig, 2. Aufl. 2007; Alfred Dürr, «Johann Sebastian Bach. Die Kantaten», Kassel, 9. Aufl. 2009, und Martin Petzoldt, «Bach-Kommentar. Die geistlichen Kantaten», Stuttgart, Bd. 1, 2. Aufl. 2005 und Bd. 2, 1. Aufl. 2007.

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