Messe A-Dur

BWV 234 //

für Sopran, Alt und Bass, Vokalensemble, Traversflöte I+II, Streicher und Basso continuo

Dass der in den 1730er-Jahren hier und da bereits als stilistisch verstaubt und allzu komplex schreibend kritisierte Bach durchaus zu einer fasslicheren Tonsprache fähig war, lässt sich an kaum einem Werk so gut zeigen wie am Kyrie der Missa in A-Dur BWV 234. Zwei elegante Traversflöten verleihen dem Satzbeginn eine an die Dresdener Hofmusik erinnernde Durchsichtigkeit, die auch die noch im 19. Jahrhundert bewunderte kontrapunktische Rezitativik des Christe sowie die kantable Konsequenz der Kyrie-II-Fuge durchzieht. Doch auch das ausgeprägte Geschick, mit dem Bach die Bewegungskontraste des «Friede sei mit euch» der Kantate BWV 67 in ein erhebend feierliches Gloria verwandelte, sowie die kunsthafte Schlüssigkeit der aufwendig umgearbeiteten Arien samt dem Schlusschor rücken gerade diese Messe in die Nähe einer künstlerisch «absoluten Musik», die zugleich Dienerin der gottesdienstlichen Gesamtdramaturgie sein will.

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Lutzogramm zur Werkeinführung

Manuskript von Rudolf Lutz zur Werkeinführung
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Akteure

Solisten

Sopran
Noëmi Sohn Nad

Alt/Altus
Jan Börner

Bass
Daniel Pérez

Chor

Sopran
Simone Schwark, Mirjam Wernli, Lia Andres, Cornelia Fahrion, Susanne Seitter, Jessica Jansad

Alt
Tobias Knaus, Antonia Frey, Lisa Weiss, Lea Scherer, Francisca Näf

Tenor
Sören Richter, Christian Rathgeber, Klemens Mölkner, Zacharie Fogal

Bass
Philippe Rayot, Christian Kotsis, Israel Martins, Tobias Wicky, Jonathan Sells

Orchester

Leitung
Rudolf Lutz

Violine
Éva Borhi, Lenka Torgersen, Christine Baumann, Petra Melicharek, Ildikó Sajgó, Judith von der Goltz, Aliza Vicente

Viola
Sonoko Asabuki, Lucile Chionchini, Matthias Jäggi

Violoncello
Maya Amrein, Daniel Rosin

Violone
Markus Bernhard

Traversflöte
Tomoko Mukoyama, Rebekka Brunner

Fagott
Susann Landert

Cembalo
Thomas Leininger

Orgel
Nicola Cumer

Musikal. Leitung & Dirigent

Rudolf Lutz

Werkeinführung

Mitwirkende
Rudolf Lutz, Pfr. Niklaus Peter

Reflexion

Referent
Dorothea Lüddeckens

Aufnahme & Bearbeitung

Aufnahmedatum
15.09.2023

Aufnahmeort
St. Gallen // Kathedrale

Tonmeister
Stefan Ritzenthaler

Regie
Meinrad Keel

Produktionsleitung
Johannes Widmer

Produktion
GALLUS MEDIA AG, Schweiz

Produzentin
J.S. Bach-Stiftung, St. Gallen, Schweiz

Zum Werk

Textdichter

Erste Aufführung

1738/1739 – Leipzig

Text des Werks und musikalisch-theologische Anmerkungen

Dass Bach, der in den 1730er-Jahren in der zeitgenössischen Musikpublizistik bereits als stilistisch «verstaubt» und allzu «gelehrt» kritisiert wurde, durchaus zu einer eingängigeren Tonsprache fähig war, lässt sich an kaum einem Werk so gut zeigen wie am Kyrie der Missa in A-Dur BWV 234. Zwei elegante Traversflöten verleihen dem Satzbeginn eine an die Dresdener Hofmusik erinnernde Durchsichtigkeit, die auch die noch im 19. Jahrhundert bewunderte kontrapunktische Rezitativik des Christe eleison sowie die kantable Konsequenz der Kyrie-II-Fuge durchzieht. Doch auch das ausgeprägte Geschick, mit dem Bach die Bewegungskontraste des «Friede sei mit euch» der Kantate BWV 67 in ein erhebend feierliches Gloria verwandelte, sowie die kunsthafte Schlüssigkeit der aufwendig umgearbeiteten Arien samt dem Schlusschor rücken gerade diese Messe in die Nähe einer künstlerisch «absoluten Musik», die dennoch zugleich Dienerin der gottesdienstlichen Gesamtdramaturgie sein will. So wird das, was Luther mit seiner liturgischen Reform anstrebte, nämlich ein Verständnis der Messe nicht als zu vollziehendes «Sacrificium», sondern als zu feierndes «Beneficium», als eine Wohltat Gottes zugunsten der Menschen, in dieser Kyrie-Gloria-Kurzmesse auf glanzvolle Weise erlebbar.

Kyrie

1. Chor

Kyrie eleison,
Christe eleison,
Kyrie eleison.

1. Chor

Mit dem aus Herrscheranrufungen des Orients stammenden griechischen Kyrie eleison – «Herr, erbarme dich» – beginnt diese Kurzmesse. Sie drückt das auf Christus bezogene Vertrauen auf Gottes Zuwendung aus (vgl. etwa Mt. 9, 27, Mt. 15, 22, Mt. 17, 15). Die federnde Schönheit des im lichten A-Dur angesiedelten Eingangs wird durch ein streng kanonisch gearbeitetes Christe eleison sowie ein energisch fugiertes Kyrie II abgelöst. Die in sich stimmige Werkgestalt lässt die Frage nach der bisher nicht ermittelten Vorlage dieses Satzes nahezu obsolet werden.

Gloria

2. Chor

Gloria in excelsis Deo,
et in terra pax hominibus bonae voluntatis.
Laudamus te, benedicimus te,
adoramus te, glorificamus te.
Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam.

2. Chor

Mit Gloria in excelsis Deo – dem weihnachtlichen Lobgesang der Engel (Lk. 2, 13) – wird deutlich: Die Feiernden stimmen in eine überirdische Anbetung Gottes ein. Sie mündet in ein vierfaches Laudamus te, benedicimus te, adoramus te, glorificamus te. Bach hat in seiner lateinischen Neufassung die deutenden Bewegungskontraste des Vorbildsatzes der Kantate BWV 67 geschickt aufgegriffen und dabei der Friedensbitte des «Et in terra pax» durch die zuvor dem Jesuswort «Der Friede sei mit dir» zugeordnete Musik hintergründig den Charakter einer Zusage verliehen.

3. Arie — Bass

Domine Deus, Rex coelestis,
Deus Pater omnipotens,
Domine Fili unigenite Jesu Christe,
Domine Deus, Agnus Dei, Filius Patris.

3. Arie

Im Domine Deus wird deshalb nicht nur Gott als himmlischer Rex und allmächtiger Pater angebetet, sondern auch Christus als Filius unigenitus (einziggeborner Sohn) und als Agnus Dei (Opferlamm Gottes). Die in fis-Moll angesiedelte Arie ist als verinnerlichtes Trio von Bass, Violine und Continuo ausgeformt.

4. Arie — Sopran

Qui tollis peccata mundi,
miserere nobis,
suscipe deprecationem nostram.
Qui sedes ad dexteram patris,
miserere nobis.

4. Arie

Der dramatische Kern: Dieser Friedensprediger Jesus, der am Kreuz stirbt und als Passahlamm die Sünde der Welt auf sich nimmt, wird nun als erhöhter, «zur Rechten des Vaters» sitzender Herr angerufen und verherrlicht. Mit der von a-Moll nach h-Moll versetzten Transformation des expressiven «Liebster Gott, erbarme dich» der Kantate BWV 179 in das «Qui tollis peccata mundi» der Messe gelang Bach eine fast wörtliche Übertragung, die durch die Zuweisung der Begleitstimmen an Traversflöten statt Oboen d’amore sowie die Bassetto-Hochtransposition der ohnehin spärlichen Continuostütze einen noch zerknirschteren Charakter annimmt.

5. Arie — Alt

Quoniam tu solus sanctus,
tu solus Dominus,
tu solus altissimus Jesu Christe.

5. Arie

Die Gottesbezeichnungen solus sanctus (Heiliger), solus dominus (Herr), solus altissimus (Höchster) werden auf Christus übertragen. Die Umarbeitung der kämpferischen Altarie «Gott ist unser Sonn und Schild» aus der Reformationskantate BWV 79 gerät durch die Zuweisung der instrumentalen Obligatstimme an Unisonostreicher sowie deren Oktavversetzung nach unten zu einer entspannt-bodenständigen Anbetung.

6. Chor

Cum Sancto Spiritu
in gloria Dei Patris, amen.

6. Chor

Diese Kyrie-Gloria-Kurzmesse endet (ohne Credo, Sanctus, Agnus Dei) mit der Anrufung des Spiritus Sanctus, weil die dritte Person Gottes als «Heiliger Geist» zur vollen Herrlichkeit (Glorie) des dreieinigen Gottes gehört. Wie sorgfältig Bach bei der Umarbeitung seiner Kantatenvorlagen in Sätze des Messoratoriums vorging, wird in der mit einem vorgeschalteten Grave anhebenden Neugestaltung des Eingangschores «Erforsche mich, Gott» aus BWV 136 überdeutlich, dessen kantige Hornstimme wirbelnden Flötentönen gewichen ist.

Quellenangaben

Alle Kantatentexte stammen aus «Neue Bach-Ausgabe. Johann Sebastian Bach. Neue Ausgabe sämtlicher Werke», herausgegeben vom Johann-Sebastian-Bach-Institut Göttingen und vom Bach-Archiv Leipzig, Serie I (Kantaten), Bd. 1–41, Kassel und Leipzig, 1954–2000.
Alle einführenden Texte zu den Werken, die Texte «Vertiefte Auseinandersetzung mit dem Werk» sowie die «musikalisch-theologische Anmerkungen» wurden von Anselm Hartinger und Pfr. Niklaus Peter sowie Pfr. Karl Graf verfasst unter Bezug auf die Referenzwerke: Hans-Joachim Schulze, «Die Bach-Kantaten. Einführungen zu sämtlichen Kantaten Johann Sebastian Bachs», Leipzig, 2. Aufl. 2007; Alfred Dürr, «Johann Sebastian Bach. Die Kantaten», Kassel, 9. Aufl. 2009, und Martin Petzoldt, «Bach-Kommentar. Die geistlichen Kantaten», Stuttgart, Bd. 1, 2. Aufl. 2005 und Bd. 2, 1. Aufl. 2007.

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